Noch eben kreiste die Forelle in ihrem regenbogenfarbenen Umhang scheinbar stumpfsinnig durch ihr trübes Gewässer, durch das Tags das Sonnenlicht diffus bis auf den schlammigen Grund schimmerte und dessen Oberfläche nachts im Mondschein glänzte und von Myriaden von Sternen glitzerte, wie ein mit Pailletten behangenes Abendkleid.
So zappelte sie im nächsten Moment schon nichtsahnend und ihrer Realität jäh entrissen im Netz, und rang und wandt sich, in einem Anflug von Verwirrung und Angst.
Paralysiert und hirntod ließ sie sich den Draht durchs Rückenmark schieben, der ihr kurz zuvor pfeilartig in den Kopf getrieben wurde. Kein Zucken blieb. Kein Winden. Die Lebensgeister nicht vertrieben und zurückgedrängt; vernichtend, unumschweiflich und mit einer auslöschenden Brutalität kam der Tod. Kein leises Ableben, kein letztes um’s Überleben ringendes Schlängeln, kein lautloses Winseln presste sich mehr nach außen durch ihre rubinroten, harmonisch gemaserten Kiemen. Es roch nach Matsch und breit getretenen Grashalmen. Und nach Gummistiefeln.
Gustav wischte sich mit einer damastgemaserten Stoffserviette etwas giftgrünen Klee-Rahm aus seinem Mundwinkel, der sich dort vorübergehend eingenistet hatte.
Er, der Esser, saß an einem rechteckigen, kleinen Tisch gegenüber einem Bild, das sich im Prozess der Auflösung befand. Bestrichen mit einem Lack aus einem aus Algen gewonnen Geliermittel war es in einem hermetisch abgeriegelten Kasten eingesperrt und an der Wand angebracht worden; gemeinsam mit den Todfeinden der Ewigkeit: Raumfeuchte, Luft und Zeit.
Dem Verfall schutzlos ausgehändigt, wie ein junges, lahmendes Zebra inmitten der Steppe gegenüber einer Herde Hyänen, die sich vor Begierde tollent und mundschäumend um ihre Mahlzeit scharrten. Wobei der Vergleich doch ein wenig hinkt, wie das Zebra selbst. Wird es wohl eher zerrissen, als dass es verfällt. Zumindest bis auf die skelettierten Überbleibsel.
Von schwarzen Flecken übervölkert veränderte sich das Bild vor Gustav – auf mikroskopischer Ebene und dadurch für das menschliche Betrachterauge kaum wahrnehmbar – minütlich, wenn nicht gar im Sekundentakt.
Kleine Herden sich unaufhaltsam vermehrender Schimmelsporen hatten sich auf dem Löwenzahn, der als Aquarell von seinem Zeichner auf das einst weiße Papier gebracht wurde, niedergelassen und schienen es nun in einem Verdauungsprozess einer Veränderung bis zur absoluten Auslöschung zu unterziehen.
So hatte Gustav also seine Unterhaltung am Tisch, wenn auch gleich in monströser Überzahl und weniger gesprächig.
Einzelne Segmente des Forellenfilets waren sparsam aufgegliedert, in eine neue menschengemachte Ordnung überführt, in der sowohl Geradlinigkeit und Gleiches, als auch die Kopierbarkeit des Innovativen über allem stand. Das Bewusstsein, dem Lebendigen gegenüber aus den Angeln gehoben, um die Natürlichkeit und Notwendigkeit des Todes zu verfremden.
Auf einem Teller, aus Stein geschlagen, der sich, der Natur verhaftet, jeden Moment seiner Auflösung gegenüber sieht, mit jedem Gang in den Gastraum, mit dem er Fisch und Säure zum Malträteur chauffiert.
Gustavs Gabel kratzte unsanft an der rauen, steinernen Oberfläche des Tellers. Dort beobachtete er die geschmackvollen, zersetzenden Säfte, die sich den Weg hinein suchten, beinahe zu fliehen schienen, vor dem alles in sich hinein saugenden Mauls des Gourmand.
Hineinzufallen schien er für einen kurzen Augenblick. Mit seinem Geiste in den Stein hinein. In die Jahrtausende zurück folgend, in denen dieser einst seinen Ursprung gefunden hatte und dessen Herr er nun für einen Moment war.
Der Blick auf die sanfte Spitze eines kleinen Stück Karottengrüns, das sich beinahe zärtlich über den äußeren linken Zinken seiner Gabel geschmiegt hatte, holte ihn zurück an seinen Tisch.
Er vermengte die sattgrünen Blättchen des Klees mit etwas von der Forelle, zog die Gabel stotternd durch einen Faden würzigen Rahms, stach in eine leuchtend orangefarbene Perle voll saftig intensiver Fischaromen, die sie unsichtbar umgaben. Gustav wollte alles beisammen wissen, auf seiner letzten Gabel. Alle aromatische und texturale Vielfalt zusammen spüren und schmecken. Ganz bewusst die Komplexität und Vielfalt wahrnehmen und genießen, da er nur zu genau um die Vergänglichkeit wusste, die einem jeden letzten Bissen innewohnt. Sich verflüchtigt, wie die intrikate Armonenstruktur einer Erinnerung, die die Nasenscheidewand hinauf krabbelt, um eine unversehene Emotion zu provozieren, nur um dann, einen verspottend, auf immer zu vergehen.
Es war der Kopf der Forelle, das weiche Gedärm, Flossen und Gräte, die dem Gericht seine Tiefe gaben, und damit geschmacklich in ungeahnte Höhen trieb.
Die ganzheitliche Zersetzung, die Autolyse in einem Gemisch aus Salz und Wasser. Eine vollständige Auflösung des Festen ins Flüssige. Des Ungenießbaren in vollendete, geschmackliche Harmonie.
In diesem Bad, in diesem trüb-roten Tümpel aus Resten von Blut und körperlichen Schmierstoffen, hatte sich die Forelle nun aufgelöst, transformiert, in eine tiefdunkle Tunke.