“After Animal Farm Ends”
Wir schreiben den 18. September 2071
Es ist 19:50 Uhr.. Wir haben einen Tisch auf 20:00 Uhr reserviert. Einen Tisch im “After Animal-Farm Ends”. Laut Medienberichten gibt es dort exklusivstes Essen in bestem Ambiente und besonderem Flair. Ich schlendere, meiner Persönlichkeit nach, gewohnt gelangweilt zum Einlass, lasse meine Iris scannen, zahle und verifiziere die Zahlung mit meinem Daumen an dem dafür vorgesehenen Touchpad an der Wand. Auf meiner Augmented-Reality-Linse erscheinen ein paar Infoscreens des Restaurant Inhabers zum Thema, die ich aber direkt weg wische…
“Hygienebereich – Zutritt nur in Hygienebekleidung und mit Gesundheitspass gestattet”
schreit mich ein weißes Metallschild in roten Lettern an. Ich nehme mir einen Kittel von der Wand, schlüpfe in weiße Stoff Slipper und setze mir widerwillens eine weiße Stoffkappe über. Was zum Henker soll denn ein Gesundheitspass sein? Scheiß drauf… Ich betrete das Gebäude der ehemaligen Stallungen durch einen gefliesten Raum von ca. 25 m². Meine Begleitung ist auch schon da – in ähnlich stilvollen Zwirn gewickelt erkenne ich sie zunächst gar nicht recht. Der Raum ist ausgeleuchtet mit LEDs in rotem und blauem Licht.. auf hängenden Tischen aus Bambus und einer Art neon grün leuchtenden Algensyntetikstoff stehen kleine Schälchen mit homegrown Microgreens. Zudem stehen verteilt kleine Stangen aus Lauch, Pak Choi und Rote Bete in großen und kleinen Reagenzgläsern… Ihre Wurzeln in einer Nährlösung liegend, treiben sie nach oben reichlich Grün… nebendran etwas Werkzeug, um es zu beschneiden. Entlang einer kleinen Wand hängen Pflanzen mit essbaren Blüten. An der Wand gegenüber findet man in Petrischalen dargebote und in den schillerndsten Farben leuchtende Dips aus verschiedenen Proteinpulvern… Es werden oblatenförmige Cracker aus Erbsen- und Algenprotein gereicht, die via Nanobotfliegen – nahezu unsichtbar klein – durch die Luft unter die Leute verteilt werden, sodass man glauben könnte, die Oblaten fliegen wahllos durch den Raum. Körpertemperatur Sensoren helfen ihnen den Weg zur Hand zu finden.
Wir befinden uns mitten im Amuse Bouche – bewegen uns durch den Raum und belegen uns die Cracker mit allem, was im Raum verteilt steht… Etwas Dip, eine essbare Blüte und darauf schneide ich mir ein wenig Lauch und Blattgrün der Roten Beete. Ein schweres Eisentor springt auf und schiebt sich quietschend zur Seite.. Wir werden via Ansage begrüßt und kurz instruiert – über das, was war, das was ist und was heute noch sein wird….
Plötzlich scheint alles vor unseren Augen zu wackeln und zu zucken, als würde sich ein gruseliger Film über unsere Iris legen… Und plötzlich stehen wir in dem Stall in dem wir gleich essen sollen… doch alles ist voller Schweine. Karge, kalte Stallungen, abgetrennt durch Eisenstangen. Junge Ferkel wühlen in ihren eigenen Fäkalien, die spärlich mit Stroh bedeckt auf dem nackten, kalten Betonboden liegen. Ihre Mütter eingepfercht in rostigen, viel zu kleinen Gehegen. Das Leid ist deutlich in ihren Augen zu sehen. Die Qualen – das Flehen – die Hilflosigkeit – Kein Tageslicht weit und breit.. es ist laut .. alles, was noch vermag zu schreien und sich noch nicht völlig aufgegeben hat, schreit und quiekt. Es wird immer lauter, das Geschreie – ich muss mir die Ohren zu halten. Es stinkt. Es riecht nach Kot und Dreck, es riecht nach Misshandlung…. und nach Tod.
Der Tod, der hier unweigerlich folgt – den man fast schon herbei sehnt, für alle Lebewesen, die hier ihren Alltag Fristen müssen, bis sie fett genug sind für den Gang zum Schlachter – um zu enden als fettes Steak auf dem Teller eines noch fetteren Texaners… Der Gestank ist nicht mehr zu ertragen… ebenso die Schreie.. die Blicke der Schweine.. winselnd… flehend… ich möchte, dass es aufhört.
Wieder flackert das Bild.. und alles ist weg – genau so schnell, wie es entstanden ist… ein Hologramm… ein Schauspiel des Schreckens. Als Mahnung an das, was einst war.. hier stattgefunden hat. Täglich und über Jahrzehnte… Eine leichte Note von Ammoniak und Angstpisse der kleinen Ferkel ist immer noch, auch Jahrzehnte nach dem Verbot von domestiziertem Schweinefleisch, fest hängend in dem Gemäuer der Aufzuchtstation. Das Interessanteste und zugleich auch Abstoßende an diesem Restaurant-Konzept ist wohl die begleitende Show um das Menü…
Es wird wohl immer wieder das Pawlowsche Gesetz imitiert, in dem kurz vor jedem Gang das Licht etwas heller wird, der Chef de rang mit einem Metallstab an den Gitterstäben der Gatter vorbei geht – wie in einem schlechten Knastfilm der 90er Jahre des 20.Jh. – worauf eine Armada an Drohnen folgt, die die einzelnen Gerichte surrend an den Tisch bringt. In einem etwas rauen Zuhälterton wird der erste Gang annonciert. Inhaltsstoffe und alles andere Wissenswerte zieht man sich dann auf seine Smartwatch oder eben als Augmented-Reality auf seine Linse…
Menü
Ameisen / Invitrobacon / gesalzenes Bienen-Granola / indorfarmed Weizengras
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lowcarb Portobello-Wellington / Algen-Blätterteig / Erbsenpulver
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Regrow-Radieschen in Blatt&Frucht&Wurzel / Maikäfer & Larven
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schwarze Sapote / Dashi Jahrgang 2042 / Bonitoflocken vom Wildhahn
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Maracuja-Sorbet / Vodka / Kombucha
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Mockbeef Entrecôte / Grasshüpfer-Garum / Schafgarbe / Hafermilch / Emmer / Microgreens
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Süßes aus der eigenen Hand – HonigChicorre-3D-Druck der eigenen Hand / Petit fours
… Fortsetzung folgt
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