The VR-Diet
Wir schreiben den 23. August 2081
Wie so vieles, das Einzug in unser gesellschaftliches Leben nahm, kam auch das, worum es hier gehen soll, als witzige Idee auf einem Smartphone um die Ecke.. bevor es seinen fatalen Lauf nahm..
Man warb mit der Frage: Schon mal Schildkröten gegessen? Oder Elefantenleber? Ortolane? Krokodilhoden oder Sashimi vom Delphin?
Wahrscheinlich nicht.
Die Idee dahinter war so brillant, wie kurios – wie auch zugleich völlig faszinierend und zog Unmengen kulinarisch Aufgeschlossener oder einfach nur interessierter Menschen in ihren Bann… Mit Hilfe einer VR-Brille und einer VR-Gaumen & Kau-Prothese, etwas synthetisch erzeugter breiiger Masse auf Soja oder Kartoffelbasis und mit dem jeweiligen chemisch erstellten Geschmacksprofil des gewünschten Produkts aus dem Labor, wurde man in eine virtuelle Welt versetzt, in der man sich atmosphärisch in ein gut gefülltes, gehobenes Restaurant des ausklingenden viktorianischen Englands begab, an einem einzelnen Tisch Platz nahm und dinierte wie in Doyles Diogenes Club aus den weltbekannten Detektiv-Romanen des Sherlock Holmes.
Ich kann mich noch bildlich daran erinnern, wie ich das Fettammer-Erlebnis “Mitterrand” im Menü wählte und ich meine Reise antrat in ein schummrig mit Kronleuchtern illuminiertes nobles Restaurant, mich in einen bequemen Chesterfield Sessel sinken ließ und der Kellner mir meine vorab gewählten Getränke, einen fränkischen Grauburgunder und eine Karaffe entkarbonisiertes Leitungswasser brachte. Nach einer kurzen Weile, die ich nutzen konnte um mich mit meiner Umgebung vertraut zu machen und die fast schon etwas staubig wirkende Atmosphäre einzuatmen, kam auch schon das von mir georderte Gericht. Als wäre es gestern gewesen, spüre ich auf meinem Gesicht, wie ich mir die blütenweiße Serviette über den Kopf legte und mir, den Schnabel zwischen den Fingern, diesen wunderbar zubereiteten Fettammer in Stille und im Einklang mit mir in den Mund schob, meine Backenzähne das Fleisch zermalmten und gelegentlich einen kleinen Knochen zu Tage förderten, der sich dem Höhepunkt meines Genusses in den Weg stellte. Einfach köstlich, diese dezenten Armagnac Aromen, in dem das lebende Vögelchen vor wenigen Momenten noch in der Küche ertränkt gewesen worden wäre.
Nach einer kurzen Weile – und gänzlich glückselig – nahm ich mir die Serviette vom Kopf, legte sie neben den Teller und verputzte noch das apart gereichte Kartoffelgratin. Im Anschluss putzte ich mir die Mundwinkel mit meinem Tuch ab und fragte nach einem Espresso und der Rechnung – Kaum bemerkt von mir, spielte eine Jazzkapelle die letzten Takte von Dave Brubecks “Take5”, während ein junges, zierliches Ding mir ihr Bein über das meinige legte und mir aus dem Etui an ihrem Strumpfband eine Roth Händle unter die Nase hielt – ich lehnte dankend ab, da der virtuelle Genuss von Tabakwaren einen erheblichen Aufpreis bedeutete, den ich nicht bereit war, zu zahlen – so trank ich meinen Espresso und ging nach einer kurzen Phase der Entspannung aus dem Menü raus und setzte die VR-Brille und -Prothese ab.
Ein exquisiter Hochgenuss ohne die im Vorfeld ablaufende Tierquälerei und selbst ohne das ein Tier sterben musste.. auch das Hungergefühl war über einige Zeit weg … so leicht zu beeinflussen war unser Unterbewusstsein, wenn ihm virtuell suggeriert wurde, dass gegessen wurde.
Es war eine großartige Sache, die ich sehr gern in Gebrauch nahm.
Bis zu den verhängnisvollen Tagen, als aus etwas Wunderbarem etwas Scheußliches wurde.
Eine Influencerin in den sozialen Medien “spielte” zunächst damit und stellte ihre unfassbar dünne Taille in eine direkte Verbindung zu diesem Gerät und dem Nutzen, den sie daraus zog, ihr Hungergefühl immer wieder zu umgehen. Woraufhin tausende labile, junge Menschen in ihren schwierigsten Entwicklungsphasen dasselbe ausprobierten. Der frühe Tod des Social-Media-Stars, mit nur 27 Jahren, gab denen, die diesem unheilvollen Diät-Zauber schon verfallen waren, nicht zu denken und alle, die folgten, wollten das gleiche: eine super dünne Taille – und am Ende leiden Menschen wie eh und je unter Selbstüberschätzung und es überwiegt der Gedanke “Mir wird das nicht passieren.” gegenüber den elterlichen Warnungen.
Überheblichkeit ist der Grund der aktuellen Magersuchts-Serie mit fast schon epidemischem Ausmaß.
Tausende junger Menschen, junge Erwachsene, Mädchen wie Jungen, hungern sich auf diesem Wege fast zu Tode oder verenden allein in irgendwelchen abgelegenen Hinterzimmern.
Die psychiatrischen Einrichtungen sind voll mit völlig abgemagerten Menschen, die, wenn sie ihren natürlichen Appetit wieder erlangen, trotzdem mit psychischen oder teils nicht heilbaren neuronalen Schädigungen ihr restliches Leben fristen müssen..
Rezept
Keule vom Hahn / Kartoffelgratin
Zutaten
für die Keule
Zutaten
- Keule vom Hahn
- Wasser
- Gockelfond
- Karotten
- Sellerie
- Zwiebel
- Sojasauce
- Salz, Pfeffer
- Thymianzweig
Zubereitung:
- Zwiebel, Karotten und Sellerie gründlich reinigen und in 2×2 cm große Stücke schneiden.
- den Ofen auf 120°C vorheizen
- Die Keule salzen und in einer hohen Pfanne in etwas Öl von allen Seite anbraten.
- Das Gemüse dazugeben und mit anbraten,
- alles mit Gockelfond ablöschen und mit Wasser auffüllen
- etwas gemahlenen Pfeffer und ein Schuss Sojasauce dazu geben
- in den Ofen geben und bei 120°C ca. 1,5 bis 2h abgedeckt garen.
- die Keule aus der Pfanne herausnehmen und den Fond um ⅓ auf dem Herd bei mittlerer Hitze reduzieren
- den Thymianzweig hinzugeben und ca. 10 Minuten ziehen lassen
- auf Wunsch abbinden und im Anschluss die Keule wieder darin erwärmen
Für das Gratin
Zutaten:
- 250 ml Milch
- 250 ml Schlagsahne
- Salz, Pfeffer
- Macis
- 800g vorwiegend festkochende Kartoffeln
- 50 g Tilsiter
- 30 g Butter
Zubereitung:
- Milch und Sahne in einem Topf um ca. ⅓ bei geringer Hitze einkochen Mit Salz und Pfeffer würzen und die Macisblüte dazu geben
- den Ofen auf ca. 200°C vorheizen
- die Kartoffeln schälen und in dünne Scheiben schneiden
- eine Auflauf mit etwas Butter einreiben und die Kartoffeln hinein schichten.
- die Kartoffeln mit der Milch-Sahne-Mischung übergießen und mit dem Tilsitter und der restlichen Butter bestreuen.
- bei 200°C ca. 30 bis 35 Minuten je nach Höhe backen