
Bioreaktoren, Nachhaltigkeit ist eine Auslegungssache, Steaks aus dem 3D-Drucker
Ist es gerechtfertigt, Fleisch zu essen, das von Tieren stammt, die unter widrigsten Umständen gehalten werden und das zu Dumpingpreisen verkauft wird, wenn es Optionen gibt, die es in Geschmack, Konsistenz und Mundgefühl mit “richtigem” Fleisch aufnehmen kann? Wenn es zudem noch wesentlich umweltverträglicher ist und kein Leid hervorruft?
Eine von vielen Fragen, die in Zukunft auf uns zukommen werden und die man mit neuen Optionen auf dem Lebensmittelmarkt unter einem anderen Licht von Ethik und Moral betrachten muss!
Geht es nach dem Gedankengut der Fleisch-Großindustrie, müssen sie nachhaltiger werden. Was einige Menschen jetzt mit Applaus belohnen würden, hat im allgemeinen aber weitaus weniger damit zu tun, die Rodung der Regenwälder für den Anbau von Soja zu stoppen, die Menschen dahingehend zu erziehen, das ganze Tier auf dem Teller zu verwerten oder weit weniger Fleisch im Allgemeinen zu verzehren. Auch nicht damit, den täglichen Bedarf an tierischen Produkten herunter zu schrauben und regionales Fleisch aus ethisch korrekter und nachhaltiger Aufzucht zu kaufen und auf den Teller zu bringen.
Der Industrie geht es in punkto Nachhaltigkeit eher um einen effizienteren Muskelaufbau im Schlachtkörper, um mehr Energie je kg Futter um mehr Cents pro kg zu erwirtschaften. Es geht um die schnellere Umsetzung der Nahrung in körpereigenes Fett, um die Tiere noch schneller zur Schlachtbank führen zu können.
So weit kann man also nachhaltiges Wirtschaften auslegen – und schon verebbt der anfängliche Applaus, oder?
Aber halt – grundsätzlich sind alle angeführten Methoden der Fleischindustrie auf eine gewisse Art nachhaltig. Mehr Tier pro Hektar bedeutet weniger Flächenrodung und um mich hier auf eine Aussage eines offenkundig industrienahen Brasilianers aus dem Buch “Die grüne Lüge” von Kathrin Hartmann zu berufen: “Je effizienter wir produzieren, je weniger Platz und Futter wir brauchen, desto weniger Treibhausgase produzieren wir. Früher wurden Rinder fünf Jahre gehalten. Heute achtzehn Monate.” So wird auch noch etwas gegen die globale Klimaerwärmung in den Ring geschmissen.
Unsere aktuellen “Methoden” zur Produktion von Protein sei ineffizient, stimmen Verfechter der synthetischen Biologie mit ein, die Mithilfe exponentiellen Zellwachstums echte tierische Proteine herstellen.
Tierisches Gewebe dient hierbei als Quelle für Stammzellen, die als Grundlage für verschiedene Zelltypen dienen. Im Anschluss werden die Zellen, in einem Bioreaktor in Nährboden schwimmend, großflächig vermehrt. Auf Basis der Kundengewohnheiten, wird im Anschluss die Biomasse in Muskelgewebe und Fett differenziert und ein Endprodukt erzeugt, das in Textur und Geschmack mit bekannten Produkten übereinstimmt.
Was die Aussage der Nachhaltigkeit zunächst nur bedingt bedient und vielmehr eine suspekte Mimik ins Gesicht zementiert. Allerdings, betrachtet man die Umweltbelastungen des sogenannten Laborfleisches oder Fleisch aus der Petrischale, kommen mir aktuell ganz erhebliche Zweifel, ob die aktuell vorherrschende Art der “Fleischproduktion” (in Ermangelung eines besseren Wortes) jemals an diese “Labor”-Werte herankommen wird, die aktuell mit 99% weniger Land, 96% weniger Wasser und 96% weniger Emissionen – gemessen am aktuellen Verbrauch der Fleischindustrie – aufwartet. Selbst, wenn man Tierethik und Ethik zumindest mal rechnerisch außen vor lassen würde.
Für einige Leser mag es jetzt klingen, wie die Wahl zwischen Pest und Cholera, was wohl daran liegen könnte, dass sie sich schon häufiger oder eingehender mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Als weltoffener und mündiger Bürger gilt es aber gerade heute umso mehr, dass gerade Menschen, die sich mit der Thematik näher auseinander setzen, alle Seiten betrachten und verstehen, um dann für den vermeintlich besten Sachverhalt zu argumentieren.
Nun ergeben sich für mich folgende Fragen daraus:
Wie werden wir unseren, schon jetzt kaum zu rechtfertigenden, übermäßigen Konsum von Billigfleisch aus Massentierhaltung vor uns selbst und unseren nachfolgenden Generationen rechtfertigen können, wenn wir derlei Produkte haben. Werden wir uns immer noch hinstellen und behaupten können: “Wir essen nur richtiges Fleisch von richtigen Tieren”? Werden Argumente gegen genetisch “modifiziertes” Fleisch aus Bioreaktoren noch logisch erscheinen, wenn schon heute nachgewiesen ist, dass hormonell behandeltes Fleisch zum Muskelaufbau bei Tieren sich auf den menschlichen Muskelaufbau auswirkt – ganz zu schweigen von Quecksilber im Fisch, Antibiotikarückständen im Fleisch und Dioxin in Eiern. Mutiert Fleisch zu einem weiteren Produkt, das die Menschheit in Klassen unterteilt, mit Real-Beef als absolutes Premium Produkt? Oder sind wir vielleicht schon heute eine 2-Klassen Fleisch-Gesellschaft, unter der aktuell bereits Milliarden zu leiden haben — Milliarden Tiere!
Viele Menschen sehen sich als Gourmets oder meinen zumindest, sie hätten Ahnung vom Essen – (ein weit verbreitetes Phänomen) – zum Beispiel das kulinarisch so stolze Volk der Franzosen (denen ich tatsächlich und flächendeckend Ahnung vom Essen attestiere), die selbst Tierwohl weit unter den Scheffel ihrer Gourmandise stellen, würden sich mit Händen und Füßen dagegen wehren oder gar eine Revolte anzetteln, wenn ihre geliebte Stopfleber oder ihr Chateaubriant aus einem metallenen Reaktor oder einer Petrischale kommen würde.
Wie würden Sie reagieren, wenn es demnächst nur noch Burger aus der Petrischale in der Betriebskantine gäbe?
Wobei – ich glaube, dass wir in einer Welt leben werden, in der reales, ethisch korrekt gehaltenes, meinetwegen Demeter-zertifiziertes Fleisch koexistieren kann – mit allerlei anderen fleischigen Angeboten. Somit wird niemand zu der Entscheidung gedrängt, dieses oder jenes Fleisch zu essen – er wird vielmehr durch den gewichtigen Punkt des eigenen finanziellen Status dazu veranlasst, entweder gänzlich oder zumindest weitestgehend auf Fleisch und tierische Produkte zu verzichten und sich einer gemüsebasierten Ernährung zuzuwenden, oder sich bereitwillig in das Invitro-Vergnügen zu stürzen, um seinen Massen-Fleischkonsum weiter zu frönen. Letztlich glaube ich, dass wir solche Gespräche in Zukunft nicht führen müssten, oder solche Gedanken entstehen würden, würden wir nicht unentwegt an unseren Vorstellungen von Moral und Ethik schrauben, wie es uns gerade passt – die Herkunft des Fleisches überlesen, wenn die Gelüste wieder mal mehr wiegen, als das Tierwohl.
Der, der heute schon Wert auf qualitativ hochwertiges Fleisch legt, wird weiterhin aber vielleicht noch seltener zu seinem Entrecôte aus der Prime-Zucht kommen – und es umso mehr genießen – womit ich nicht in ein 2-Klassensystem abdriften möchte, sondern lediglich die Behauptung aufstelle, dass genug ethisch korrekt aufgezogenes Fleisch für alle da ist, wenn wir uns in Mäßigung übten und lernten, wieder ganzheitlich zu verwerten und weniger wegzuschmeißen, was noch essbar ist.
Ein spannendes Thema, das ein hohes Diskussionspotential birgt – und uns in den nächsten mindestens 20 Jahren noch auf unserem Weg, mal mehr mal minder, begleiten wird. Auf kulinarischer, ethischer, wirtschaftlicher und nachhaltiger Weise – wir werden Meinungen und Expertisen aufstellen, uns auf sie schmeißen und wieder zerreißen – immer bedingt der Tatsache, dass sich unsere Expertenmeinung immer an dem aktuellen wissenschaftlichen Stand bemisst und auch dieser immer wieder abgelöst wird, in dem alte Thesen durch ihre Falsifizierung oder durch neuere, bessere Thesen widerlegt oder ersetzt werden.
Unser Fleischkonsum, wie wir ihn heute kennen, ist – ähnlich wie alle Industrien – den Naturgesetzen des Marktes untergeben und wer hätte gedacht, dass wir irgendwann mal den Verbrennungsmotor anzweifeln und es wieder Innenstädte gibt, die völlig frei sind von motorbetriebenem Individualverkehr!
Zuletzt stelle man sich vor, man hätte einen Bioreaktor in kleinem Format und einen 3D-Drucker, für additive Food-Prints daheim und man könnte binnen weniger Stunden mit verschiedenen Zelltypen, die man im Feinkostladen käuflich erwerben kann, sein Wunsch-Fleisch erzeugen und in die passende Form drucken lassen. Passgenau auf die Gramm, die man für das jeweilige Rezept benötigt.
#schöneneuewelt