Vivi D’Angelo

Eine Frage…

Heimat ist etwas, das man fühlt, es ist etwas Emotionales, es ist schwierig in Worte zu fassen – aber vor allem ist es der Ort, an dem das eigene Herz liegt. 

Ist es auch etwas, das man schmecken kann? Etwas, mit dem man sich regional verorten kann, so wie man den unbeschreiblichen Geschmack der Bouillabaisse in einem kleinen abgelegen Fischrestaurant zwischen den kleinen Gassen nahe des Marseiller Hafens verorten kann? Oder liegt der Geschmack der Bouillabaisse weniger an dem exakten Ort des Konsums? Vermengen sich hier doch die Aromen der gekochten Fische und Muscheln, des frisch getoastetem Weißbrots, der Safran-Nuancen, die aus dem Topf aufsteigen, der inmitten des minimalistisch eingedeckten Tisches fast schon zu thronen scheint, mit der salzigen Brise, die vermischt mit einem leicht fischigen oder sagen wir besser maritimen Aroma, die Nase kitzelt. Irgendwo rieselt noch ein wenig Sand aus der Shorts vom Strandspaziergang am Nachmittag und am Nachbartisch entfliehen einem Dekanter bunte Aromen eines großartigen Weines und verschmilzt mit dem Möwengekreische, einem weit entfernt trötendem Schiffshorn und dem gelassenen Geschnatter einer Vielzahl vorbei schlendernder Menschen zu eben diesem Gesamteindruck, der die Erinnerung an diese Bouillabaisse ausmacht. Und daher der Geschmack der Bouillabaisse doch weit mehr ist, als nur eine Fischsuppe, sondern ein Platz, ein Erlebnis – ein Fleckchen Erde – ein Auszug oder vielmehr das Destillat einer ganz bestimmten Region.

Es spargelt überall in Deutschland – an allen möglichen Stellen wird das weiße Gold feilgeboten, man schwankt schon auf dem Heimweg vom Markt zwischen rohem und gekochtem Schinken, die Schneebesen fliegen in den heimischen Küchen im Hollandaise-Kessel hin und her, dass es nur so kracht und vielleicht dauert es nicht mehr lang und Olli Schulz und Jan Böhmermann besprechen bei Fest&Flauschig wieder die aktuelle Entwicklung des “Spax” (für alle, die nicht wissen, was das ist – der podcasteigene Spargelindex). Natürlich ist der „Spax“ nichts, über was man sich ernsthaft Gedanken machen muss oder sollte. Aber nichtsdestotrotz eine recht spannende Sache, wie ich finde, zumindest was die Preisentwicklung in der Bundesrepublik im Nord-Süd und Ost-West Gefälle angeht.

Aber kommen wir zum Spargel, der ja dem Spax zugrunde liegt, lassen mal den Preis außen vor und betrachten ihn, den Spargel, rein von der geschmacklichen Seite. Als süß und leicht schweflig beschreibt ihn Niki Segnit in ihrem Geschmacksthesaurus. Da würde ich spontan auch völlig mit gehen. “Im Grunde ist er im selben Maße geschmacklos, wie es ihm an Farbe mangelt.”, schreibt sie weiter und kann ihm “wirklich nichts abgewinnen”.

Über Geschmack lässt sich ja, wie schon häufig in der Weltgeschichte erwähnt, lang und ausgiebig streiten, wohl auch, wenn es um den von so vielen Deutschen geliebten Spargel geht. Für uns ist Spargel nicht nur irgendein Gemüse, was einem schmeckt, oder eben nicht. In unseren Breitengraden ist der Spargel doch etwas mehr! Bringt er doch viel mehr mit, als lediglich schweflige und süßliche Noten. Er gibt beispielsweise Auskunft über den Boden, in dem er wächst – das Terroir. Für einige Food-Nerds schon heute der neue „heiße Scheiß“, wenn es um Geschmack geht, hat doch unlängst Stevan Paul über den Boden und den von ihm ausgehenden Einfluss am Beispiel Karotten einen mehrteiligen Bericht auf seinem Blog veröffentlicht. Oder wie kann man es sonst erklären, das jedes Jahr auf’s Neue ein Wettstreit entbrennt, zwischen den „besten Spargelanbaugebieten“ – beispielsweise Belitz im Berliner Raum und dem Schrobenhausener, auf den das Münchner Spargel-Clientel schwört. Geht es hier um Lokalpatriotismus oder wirklich um Geschmack? Und wenn es um Geschmack geht, lässt sich dann Regionalität in geschmackliche Terroirs einteilen und somit darüber bemessen oder gar eingrenzen?

Geht es nach meiner persönlichen Sensorik kann Heimat im Mund zu haben auch mal bedeuten, dass es etwas erdig oder schweflig schmeckt und Gras-Aromen mit sich bringt. Ertappt – ich stehe auf Spargel mit Kartoffeln und frisch gehackter Petersilie. Aber versuchen wir weiter bei reinen Aromen zu bleiben und lassen die Breite der Produktpalette weg, die zum Beispiel Aromen, wie die drei genannten, mit sich bringen würde.

Wie schaut die Aromen nuancierte Palette denn in anderen Regionen Deutschlands aus? Unterscheiden sich das Aromen-Potpourri eines Bayerns zu dem eines Hamburgers – fehlt dem Bayern in seinem geschmacklich heimatlichen Aromen-Strauß das Maritime der Nordsee und dem Hanseat unter Umständen der Bezug zu bitteren, wilden Kräutern, gepflückt auf den Weiden am Rande der Alpen und des Voralpenraums? Wie bringt man die einzelnen Komponenten eines “Rehrücken BadenBaden”, wie die fruchtige Säure von Johannisbeeren, einem Spätburgunder und die süße der Birne, zusammen mit dem Geschmacksprofil dieser Region?

Sind wir – und das ist die Frage, mit der ich mich wohl auch noch weiterhin beschäftigen werde, in der Lage, Regionalität einzugrenzen? Und kann es hier um den Geschmack und die damit in Verbundenheit stehende Nähe zur Heimat gehen?

Stand heute habe ich dazu leider keine Gewissheit mit der ich vor die Türe gehen kann, möchte aber doch zumindest am Ende dieses kleinen Gedankenexperimentes meine Meinung dazu äußern, auch wenn es nur hilft, um meine Gedanken weiter zu sortieren und Unnützes auszusondern.

Meiner bescheidenen Meinung nach wird es, betrachtet man, wie ich es versucht habe hier aufzuzeigen, Geschmack und Regionalität als eine individuelle Sache,  schnell intim und man greift eher in einen persönlichen Radius, als das man es außenstehend bemessen kann. Sehr ähnlich wie ein Heimatgefühl nichts ist, dass man von außen bemessen kann. Allerdings, so ist zumindest mein Gedankengang, hat der Geschmack das Potenzial Regionalität weitaus besser einzugrenzen, als die Art und Weise, wie es Geographen möglich ist, fiktive Grenzen zu ziehen. 

Yuval Noah Harari beschreibt schon in “Eine kurze Geschichte der Menschheit” klar und logisch nachvollziehbar, dass sämtliche Menschen geschaffene Landesgrenzen lediglich auf einer gemeinsam beschriebenen und akzeptierten fiktiven Geschichte beruhen. Was für mich den Umkehrschluss zulässt, dass eben diese Grenzen auf so etwas Komplexes wie einen evolutionär entwickelten Sachverhalt, wie unseren Geschmack, niemals Einfluss haben darf und sollte.

Wie schmeckt deine Region?

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